blog250323
Die schwierigste Zeit meines Lebens - Teil 2
Einleitung
Vier Operationen innerhalb von weniger als zwei Wochen, drei davon ohne wirksame Betäubung. Drei Löcher in meinem Körper, eins davon riesig. Eine Infektion, die nicht wegging – Antibiotikaresistenz. Und ein Mietvertrag, der mich zur Zahlung von knapp einer halben Million Euro über die nächsten 60 Monate verpflichten würde. Als Einzelunternehmer wohlgemerkt. Nicht als GmbH.
Ich war geschwächt. Ich war verwundet. Ich war frustriert. Und verzweifelt. Aber gleichzeitig war ich voller Energie und Zuversicht. In wenigen Wochen würde ich mein zehnjähriges Jubiläum im Jiu Jitsu feiern. Zehn Jahre voller harter Arbeit, Blut, Schweiß und Tränen. Siege, Niederlagen, Verletzungen und katastrophale Zwischenfälle. Seit dem 22. Mai 2014 hatte ich daran gearbeitet, die Vision meiner eigenen Kampfsportschule zu verwirklichen. Am 18. Juli 2022 war dieser Traum wahr geworden. Und jetzt, weniger als zwei Jahre später, stand ich vor der größten Herausforderung meines Lebens: IPA1 zu IPA2 machen.
IPA würde innerhalb der nächsten 10 Jahre zu der mit Abstand größten und erfolgreichsten Kampfsportschule Hamburgs werden. Ich würde das gewaltigste Risiko eingehen, das ich mir auferlegen könnte und alle meine Fähigkeiten als erfahrener Kampfsportler und Wettkämpfer abrufen, die es mir möglich machen, in Extremsituationen Ruhe zu bewahren. Unter größtem Druck und Stress würde ich mein Ziel anvisieren und den bevorstehenden Kampf gewinnen. Egal, mit welchen Mitteln. Koste es, was es wolle.
IPA2
Da war ich nun also. Ich befand mich in den neuen Hallen der Inside Position Academy in der Warnstedtstraße 12b in Hamburg-Stellingen. 508 Quadratmeter auf zwei Stockwerken. Drei Mattenflächen. Ein Sozialraum. Ein Büro. Zwei Umkleiden. Vier Duschen und vier Toiletten. Im Vergleich zu unserer alten Immobilie mit weniger als 85 Quadratmetern, einer Mattenfläche, einer Dusche und einer Toilette war das eine riesige Vergrößerung. Tatsächlich war diese Location nach einem Mitbewerber, dem Zanshin Dojo in Hamburg-Bahrenfeld, die größte der Kampfsportszene in der gesamten Metropolregion. Den genannten Konkurrenten gab es damals schon seit 25 Jahren. IPA seit nicht einmal zwei. Lass die Leute von mir denken und über mich reden, was sie wollen. Aber eins wird sicher niemals jemand sagen: dass ich faul bin. Oder meine Ankündigungen nicht wahrmache.
Ich zeigte die Immobilie zuerst den beiden wichtigsten Menschen aus meinem Umfeld, die mich auf meiner jüngeren Reise zu diesem Schritt begleitet hatten und ohne welche ich es nicht geschafft hätte: meinem erfahrensten und loyalsten Schüler Eike und meinem intensiven Trainings- und Lernpartner Fred. Beide hatten jeweils eine sehr wichtige Rolle bei der Verwirklichung dieses Ziels gespielt und ich wollte die Bedeutsamkeit mit der Besichtigung nach der Schlüsselübergabe unterstreichen. Einer meiner Gefährten würde bald leider keine Rolle mehr in meinem Leben spielen und unsere Wege auseinander führen. Für den anderen hatte ich jedoch wichtige Pläne. Denn mir war bewusst, dass ich das neue IPA auf Dauer nicht mehr alleine stemmen können würde.
Ich konnte alles bereits vor meinem geistigen Auge ganz deutlich ausmachen. Meine große Fähigkeit als Visionär ist es, Dinge sehen zu können, die es noch nicht gibt. Die ich erst noch erschaffen muss. Aber bereits in großem Umfang und mit hohem Detailreichtum erkennen kann. Und nun war wieder ein großer Punkt meiner Gesamtvision erreicht worden. Die Sicherstellung einer Immobilie mit genügend Platz, guter Bausubstanz und geeigneter Lage. Aber zunächst mussten zwei Dinge erledigt werden. Erstens der Umzug. Und zweitens musste ich mich für einen einwöchigen Zeitraum ins Krankenhaus begeben, um mich dort stationär mit Antibiotika behandeln zu lassen. Der MRSA-Erreger, der mein Leben die letzten zwei Wochen terrorisiert hatte, war nur so zu besiegen. Ich musste ihn loszuwerden. Auch wenn der Zeitpunkt denkbar schlecht war.
Krankenhaus
Ich weiß noch, wie ich fast unmittelbar nach der Ankunft im Krankenhaus eine große Erleichterung zu spüren begann. Die letzten Wochen waren unheimlich anstrengend und kräftezehrend gewesen. Nicht nur hatten mich die vier Operationen und die ständigen Sorgen um meine Gesundheit mitgenommen, sondern nebenbei hatte ich den Umzug von IPA1 zu IPA2 begonnen.
Quasi unmittelbar nach der Schlüsselübergabe ging die Arbeit los. Es mussten reichlich bauliche Veränderungen in der neuen Immobilie vorgenommen werden. Währenddessen (den Luxus zum gemütlichen Abwarten wollte ich mir nicht erlauben) fand der Umzug statt. Dieser zeichnete sich nicht nur dadurch aus, dass die gesamte Einrichtung der Akademie rübergebracht werden musste. Sondern es musste auch unheimlich viel Zeug entsorgt werden, dass sich über die anderthalb Jahre bei IPA1 angesammelt hatte. Oft haben mir Leute Dinge zum Verschenken angeboten, die sie nicht mehr benötigten. Und ich habe zu allem immer ja gesagt. Im Glauben, dass diese bei IPA zur Verwendung kommen könnten. Dies war fast nie der Fall und so landete alles im Keller, welcher zum Zeitpunkt des Auszuges beinahe überquoll. So fuhr ich im Rahmen des Umzuges öfter zum Sperrmüll, um Krempel zu entsorgen, als zur neuen Immobilie, um den eigentlichen Umzug zu machen. Einen Fehler, den ich bei IPA2 so nie wieder machen würde, schwor ich mir damals.
Und dann war da noch die ordentliche Übergabe der alten Immobilie. Über unsere Zeit dort hatten wir (bzw. einige unserer Kinder) versehentlich eine Kerbe in eine Trockenbauwand gehauen. Oder Regale angebracht, die Löcher hinterlassen hatten. Oder ein Clubhaus im Keller gebaut, dass bei IPA2 leider keine Verwendung finden können würde. Alles musste zurückgebaut bzw. repariert werden. Und zu guter Letzt war ich immer noch auf der Suche nach einem Nachmieter, da der Mietvertrag eine Mindestlaufzeit von drei Jahren hatte und noch fast die Hälfte davon übrig war. Ich würde es mir nicht leisten können, im schlimmsten Fall noch für knapp anderthalb Jahre Miete für die alte Immobilie zu zahlen, nur damit diese leer stehen würde.
In einer gewissen Hinsicht kam mir die Zeit im Krankenhaus wie ein Urlaub vor. Hätte mich der notwendige Aufenthalt nicht zu einer Pause gezwungen, hätte ich mir auch keine genommen. Sondern weitergemacht. Ob das gut gegangen wäre? Ich weiß es nicht. Auch wenn es nervig war, dort dreimal täglich über die Vene eines der gegen MRSA noch funktionierenden Antibiotika zu erhalten, hatte ich plötzlich so viel Zeit. Ich dirigierte die ein oder andere Sache bei IPA aus der Ferne per Telefon. Aber ansonsten konnte ich mich nicht wirklich mit der Arbeit beschäftigen, da ich dafür vor Ort hätte sein müssen. Ich musste mich darauf verlassen, dass die handwerklichen Arbeiten, für die ich zu meinem großen Glück einen sehr fähigen und vertrauenswürdigen Menschen habe, ordentlich stattfinden würden. Und nebenbei wurde der Trainingsbetrieb dort bereits aufgenommen und ich wurde beim Unterricht von Eike vertreten. An sich funktionierte das Ganze auch ohne mich.
So lernte ich zum ersten Mal die (dringend nötige) Fähigkeit, loszulassen und darauf zu vertrauen, dass auch andere Menschen gute Arbeit leisten können und ich nicht in alles involviert sein musste, damit der Laden läuft. Ich verließ das Krankenhausgelände (unerlaubterweise) ständig und machte so viele Dinge, die mir guttaten. Eis essen, Fahrrad fahren, Bücher lesen. Entspannen und mich erholen. Alles Dinge, die in den letzten Wochen quasi nicht möglich gewesen waren und die ich jetzt ein bisschen nachholen konnte.
Der mittlerweile vierte Abszess, in meiner rechten Ellenbeuge, der sich kurz nach dem dritten gebildet hatte, sprach gut auf die Therapie an und auch in allen anderen Wunden konnte bereits nach kurzer Zeit kein MRSA mehr nachgewiesen werden. Alles heilte hervorragend, wenn auch das riesige Loch in meiner Achsel noch eine lange Zeit brauchen würde, ehe es sich vollständig schließen konnte. Das Wichtigste war, dass mein Körper im Allgemeinen und insbesondere mein Geist sich erholen konnte. Wenn ich in der darauffolgenden Woche zurückkehren würde, wäre ich wieder bei Kräften und könnte die bevorstehende Zeit bestmöglich meistern. Ich war sehr motiviert. Jetzt konnte es endlich wieder heißen: weitermachen.