blog250318
Die schwierigste Zeit meines Lebens - Teil 1
was passiert, ist scheißegal / weitermachen
man hat mit dir kein Erbarm’ / weitermachen
was bleibt dir denn für eine Wahl? / weitermachen
du musst weitermachen – ja, du musst weitermachen
Einleitung
Ich werde ihn nie vergessen. Den Sommer 2024. Von März bis August dieses verheißungsvollen Jahres hatte ich die schwierigste Zeit meines Lebens. Ich hatte IPA, welches ich seit Juli 2022 betreibe, gewaltig vergrößert. Von der Erstimmobilie mit weniger als 100 Quadratmetern auf über 500. In einer Stadt wie Hamburg keine günstige Angelegenheit. Hohe monatliche Kosten, eine riesige Kautionssumme und mehrere Kredite, die ich aufnehmen musste, belasteten mich kaufmännisch und natürlich psychisch.
Zehntausende Euros für die Anfangsinvestitionen und die Überbrückung der möglicherweise mehrjährigen Verlustphase standen zur Verfügung. Im Ernstfall war ich sogar bereit, mich sechsstellig zu verschulden und alles dafür zu tun, dass IPA in den 2030er-Jahren die größte und erfolgreichste Kampfsportschule Hamburgs werden würde. Inspiriert durch und über Jahre von meinem Vorbild geprägt, hatte ich gelernt, was möglich war, wenn man an sich glaubt. Und Risiken eingeht. Und über Jahre hart an der Verwirklichung seiner Vision arbeitet.
Aber es gab so viele Eventualitäten. Dinge, die schiefgehen konnten und deren Ausgang im Voraus nicht sicher vorherzusagen waren. Der Aufwand des Umzugs – wenn die beiden Immobilien auch nur 650 Meter voneinander entfernt waren – löste in mir Kopfschmerzen aus. Und dann war da noch die Unsicherheit bezüglich der alten Mietvereinbarung, welche erst etwas mehr als die Hälfte ihrer dreijährigen Vertragsdauer durchlaufen hatte. Würde ich einen Nachmieter finden? Und wenn ja, würden meine alten Vermieter diesen annehmen? Es war absolut ungewiss. Worüber ich verfügte? Über einen Traum. Ein Ziel. Und einen Plan. Aber ob dieser funktionieren würde? Ich wusste es nicht.
Die Vorgeschichte
Der Expansion meines Gewerbes ging eine an sich bereits stressige Phase voraus. Die attraktive Immobilie zu bekommen, in welche wir letzten Endes einziehen konnten, war ein halbjähriger Prozess voller Unsicherheiten und Momente, in denen es immer wieder so wirkte, als würde es im letzten Augenblick doch nicht klappen. Die Möglichkeiten von Krediten musste ich mehrfach anfragen, nur um Ablehnungen zu erhalten. Neben der nicht zu unterschätzenden normalen Arbeit, die IPA damals bereits verursachte, war ich ständig dabei, nötige Unterlagen zu organisieren und dennoch nach alternativen Immobilien Ausschau zu halten und Besichtigungen wahrzunehmen, falls der Plan A nicht klappen würde. Die Beziehung zu meiner damaligen Freundin litt massiv, genauso wie mein Schlaf und meine innere Ruhe. Und dann machte auch noch meine Gesundheit schlapp.
Wahrscheinlich wenige Wochen vorher, im Dezember 2023, hatte ich mich bei einer Haartransplantation in der Türkei mit dem MRSA-Erreger infiziert. Staphylokokken. In der antibiotikaresistenten Variante. Super. „Staph” ist in unserem Sport ein bekanntes Problem und möglicherweise habe ich den Erreger auch nicht von meinem Aufenthalt in Istanbul mitgebracht, sondern ihn mir beim Training geholt. Aber die offenen Wunden an meinem Kopf haben sicher dazu beigetragen, dass der Keim irgendwie Zugang zu meinem Körper fand und plötzlich und stark ausbrach.
Es fing an mit einem eiternden Pickel, bei welchem ich mir anfangs nichts dachte. Doch wenige Tage später kam der nächste und dann der nächste. Alles an derselben Stelle, meiner rechten Achsel. Doch irgendwann wurde einer davon so groß, dass es nicht mehr auszuhalten war und ich mich eines Nachts mit starken Schmerzen in die Notaufnahme begeben musste. Dort wurde mir der tischtennisballgroße Abszess aufgeschnitten, was die bis dahin stärksten Schmerzen meines Lebens waren. Entzündetes Gewebe kann man nämlich nicht wirklich mit Medikamenten per Spritze betäuben und so mussten etwas Kältespray und einige Tabletten Ibuprofen ausreichen. Ich schrie so doll wie noch nie in meinem Leben, während der Eiter aus der Wunde floss und die behandelnde Ärztin noch mit Zeigefinger und Daumen nachdrückte, um möglichst viel herauszuquetschen. Anschließend wurde mir ein OP-Termin zur „Sanierung” der betroffenen Stelle am nächsten Tage gebucht.
Die Operation verlief problemfrei und als ich von der Narkose erwachte und in mein Zimmer geschoben wurde, war ich mir sicher, dass diese Episode nun vorbei sein würde. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch nicht die Diagnose einer MRSA-Infektion erhalten und es gab keinen Grund zur Annahme, dass ein solcher Abszess noch einmal auftreten sollte. Mir wurde als vermutlicher Auslöser eine Auto-Immunkrankheit namens Akne Inversa genannt. Was ich nicht ahnte, war das Ausmaß der Wunde. Diese sogenannte Sanierung war ein absoluter Horror-Anblick. Als am nächsten Tag der Verband abgenommen wurde und ich einen Blick auf meine Achsel werfen konnte, war ich schockiert. Dieses Bild des Schreckens hatte ich nicht erwartet:
Aus chirurgischer Sicht sah die Wunde sehr gut aus und auch die Heilung verlief hervorragend. Doch es war alles andere als einfach, mit so einem Loch im Körper zu leben und zu arbeiten. Und nebenbei weiter an der Expansion von IPA zu arbeiten. Es wurde jedoch von Tag zu Tag besser und allmählich begann sich die Wunde zu schließen. Ehe an einer anderen Stelle meines Körpers, an meiner rechten Hüfte, ein weiterer Abszess auftrat. Diesmal handelte ich früher und ging sofort in eine Arztpraxis, in welcher der Prozess aus der Notaufnahme wiederholt wurde, nur deutlich weniger schmerzhaft aufgrund der noch geringen Größe der Entzündung. Auch war deshalb keine weitere Operation nötig, sondern die Wunde würde nach der chirurgischen Öffnung selbst verheilen und sich schließen. Die behandelnde Hautärztin war von der Diagnose aus dem Krankenhaus nicht überzeugt, denn Akne Inversa tritt normalerweise nicht an äußeren Stelle wie der Hüfte auf. Sondern in Körperregionen mit Hautfalten, in denen man stark schwitzt. Sie konnte mir aber auch keinen weiteren Hinweis geben, was es stattdessen sein könnte.
Es war ein großer Glücksfall, dass ich durch einen alten Schüler von Nexus, der das Foto meiner Achsel in einem Status-Update bei Whatsapp gesehen hatte, auf die Möglichkeit einer MRSA-Infektion hingewiesen wurde. Seine eigene Erfahrung damit klang exakt nach dem, was mir passierte und so bat ich meine Hautärztin bei meinem nächsten Besuch um einen Abstrich und entsprechende Prüfung. Lieber Deniz, ich möchte dir an dieser Stelle danken. Möglicherweise hast du mein Leben gerettet. Oder mir mindestens eine weitere und deutlich längere schreckliche Zeit erspart, als die, die mir anschließend noch bevorstand.
Mittlerweile hatte ich einen dritten Abszess, am linken Oberschenkel, und war verzweifelt. Außerdem hatte sich die Wunde in meiner Achsel entzündet, weswegen ich Antibiotika einnehmen musste, was mich weiter schwächte. Weil der neue Abszess übers Wochenende aufgetreten war und ich nicht bis Montag warten wollte, suchte ich erneut die Notaufnahme auf. Der dort in dem Moment Dienst habende Arzt wollte mich nicht behandeln und verwies mich auf meine Hautärztin. Mit Akne Inversa käme man nicht in die Notaufnahme, sagte er belächelnd. Ich weiß noch genau, wie sich in diesem Moment meine Fäuste ballten. Aber egal. Ich hatte ein Ziel. Und das war nicht, Stress mit diesem Arzt anzufangen. Sondern IPA auf das nächste Level zu bringen. Und dafür musste ich mein Problem lösen. Dafür musste ich gesund werden.
Als ob es nicht schon schlimm genug wäre
Das Ergebnis des Abstrichs kam positiv zurück und wie mein Retter es vermutet hatte, war ich mit MRSA infiziert. Meine Ärztin wirkte überhaupt nicht begeistert davon und ihre herzliche Art mir gegenüber wandelte sich augenblicklich in ein sehr ablehnendes Verhalten. Aber das war mir in dem Moment tatsächlich egal, denn es gab eine andere Nachricht, welche mehr als positiv war: Ich hatte wenige Augenblicke zuvor die Zusage für die Immobilie erhalten, für die ich sechs Monate lang gekämpft hatte. Mit zwei Löchern in meinem Körper und einem Abszess erlebte ich einen riesigen Glücksmoment. Ich wusste, dass die bevorstehende Zeit hart werden würde. Und um diese bestmöglich durchstehen zu können, musste ich zunächst die aktuelle Situation beheben. Und zwar schnellstmöglich.
Ohne es direkt auszusprechen, aber dennoch unmissverständlich, wurde mir in der Hautarztpraxis klargemacht, dass man kein weiteres Interesse mehr daran hatte, mich zu behandeln. Man verwies mich ans Krankenhaus, wo ich zuvor behandelt wurde. Ich fühlte mich regelrecht vor die Tür gesetzt. Ich war damals anschließend sehr wütend darauf, wie man mit mir umgegangen war und mich in einer solchen Notsituation einfach „rausgeworfen” hat. Heute kann ich es tatsächlich aber nachvollziehen, da der Umgang mit einem MRSA-Patienten im Krankenhaus bereits kritisch und mit einer zwingenden Isolation verbunden ist. Für eine Arztpraxis jedoch einen unheimlichen Aufwand bedeutet, da dort nicht die physischen Kapazitäten eines Krankenhauses vorhanden sind und nach jeder Behandlung sämtliche Räume und Werkzeuge desinfiziert werden müssen. Und damit ist eine Weitergabe der Infektion an andere Patienten ja trotzdem nicht ausgeschlossen und könnte im schlimmsten Fall für die Praxis riesige Probleme verursachen.
So kam es dazu, dass ich wenig später im Krankenhaus erneut die Notaufnahme aufsuchen musste. Wo man mich vorher noch weg und zum Hautarzt geschickt hatte, war ich nun erneut, weil man mich beim Hautarzt weg und ins Krankenhaus geschickt hatte. Nervlich war ich wirklich am Ende und mittlerweile unheimlich frustriert. Zum Glück kümmerten sich die zwei gerade fertig studiert habenden Ärzte liebevoll um mich und schnitten mir kurzerhand den Abszess auf, damit dieser auslaufen und abheilen konnte. Erneut war der Schmerz so schlimm, dass ich das Schreien so gerade noch vermeiden konnte. Mittlerweile war mir aber nicht mal mehr danach, ich musste einfach nur noch weinen. Ich fühlte mich, als würde meine Gesundheit mich im Stich lassen und als stünde ich vorm Zusammenbruch meines Traumes. Ich malte mir aus, wie ich den Mietvertrag, für dessen Unterzeichnung nächste Woche der Termin angesetzt war, doch nicht erhalten würde. Wie IPA für immer in der kleinen Erstimmobilie bleiben und niemals wachsen können würde. Und wie ich im Gefängnis des ewigen Stillstandes leben müsste.
Würde ich überhaupt jemals wieder Jiu Jitsu trainieren können? Die Wunde in meiner Achsel verheilte zwar gut, aber ob sie sich jemals vollständig schließen würde – da waren sich die Ärzte nicht sicher. Darüber hinaus würde ich wahrscheinlich immer eine eingeschränkte Bewegungsfähigkeit haben. Und dazu die ständige Gefahr eines erneuten Einrisses, insbesondere durch harten Kontaktsport. Würde ich je wieder gesund werden und diesen MRSA-Erreger, welcher sich offenbar nicht nur auf meiner Haut befand, sondern im schlimmsten Fall bereits ins Innere meines Körpers vorgedrungen war, loswerden? Oder würde ich künftig regelmäßig diffus auftretende Abszesse erleiden und mich dann im Krankenhaus behandeln lassen müssen, weil man mich in Arztpraxen gar nicht reinlassen wollte?
Ich war verzweifelt. Und am Ende meiner Kräfte. Aber scheiß’ drauf. Im Zweifelsfall, Crossface. Weitermachen.